Regnet es – oder ist das Kunst?

Als ein zumeist treu zur Seite stehender Begleiter machen sich Regenschirme nun schon seit Jahrhunderten um die Menschheit verdient: In der Gegenwart bleibt dessen Dienste allerdings immer seltener auf den bloßen Schutz von sorgsam hergerichteten Frisuren beschränkt. In den vergangenen Tagen wussten gleich mehrere Lokalzeitungen von Kunstaktionen zu berichten, die sich der Metaebene der Regenschirme bedienen – wer diesen lediglich an Regentagen öffnet, hat damit schließlich prompt etliche Bedeutungsebenen verschenkt.

Als Symbol für die Schändlichkeit der Wegwerfgesellschaft haben die Objekte der Begierde etwa längst eine zweite Karriere im Kunstbetrieb gestartet; auch als Schutz-Metapher sind Regenschirme bereits seit einer gefühlten Ewigkeit nicht mehr weg zu denken.

Umso erfrischender wirkt es, dass sich der Schirm in einer stillgelegten Berliner Willner-Brauerei einen neuen ideellen Raum erschließen durfte: 450 Exemplare taten hier in gewohnt ausdrucksstarker Weise die Verworrenheit der gegenwärtigen Verhältnisse kund. Dem ersten Teil des Arbeitstitels „Labyrinth of Lies“ entsprechend, hatten 450 aufgespannte Taschenschirme den Blick auf die eigentlichen Exponate versperrt, die sich somit erst über verschlungene Pfade dem prüfenden Auge des Publikums erschlossen. Dabei stellten lediglich 4.000 in den Verkauf gelangte Eintrittskarten sicher, dass tatsächlich nur versierte Kenner in die heiligen Hallen der Brauerei vorgestoßen sind. Die für diesen Blog verantwortlichen Kunstbanausen mussten derweil mit einem Erfahrungsbericht der Prenzlauer Berg Nachrichten vorliebnehmen.

Während die Bilder der Londoner Conner Brothers und die Installationen des hauptstädtischen Lokalmatadoren Sven Sauer somit nur in einem elitären Kreis besprochen wurden, wird in Niedersachsen traditionell ein etwas volkstümlicheres Kunstverständnis gepflegt. Nach Angaben der ansässigen Kreiszeitung legt beispielsweise die Künstlerin Katrin Zettermann-Wawrzinek etwaigen Interessenten keine unnötigen Steine in den Weg: Als Wermutstropfen bringt diese auf ihrem Waldkunstpfad dafür allerdings wieder die leidige Wergwerfgesellschaft aufs Tapet.

Getreu dem Motto „Unter einem Regenschirm“ trösten die Besucher jedoch teils aufwendig restaurierte Schirme über diesen Mangel an thematischer Exklusivität hinweg: Unter die in den Bäumen hängenden Stockschirme hat sich schließlich auch so manches Liebhaberstück gemengt. So kommen auf dem Pfad die offenkundig aus der Mode gekommenen Flanierschirme noch einmal zu neuen Ehren; Trachtenschirme regen überdies dazu an, dass kostengünstig für das Oktoberfest erstandene Dirndl beim nächsten Mal mit einem zusätzlichen Accessoire zu komplettieren.

Die virtuosen Schmuckstücke lassen einen Wiesen-Bummel mit als Werbegeschenke in Besitz genommenen Regenschirmen in jedem Falle als einen kleinen modischen Frevel erscheinen – wenngleich sich gerade hochwertig gefertigte Werbeartikel Regenschirme der um sich greifenden Wergwerfmentalität beharrlich widersetzen.