Regenschirme als Tatwaffen

Mörderische Regenschirme

Nicht zuletzt dank der Kult-Serie „Mit Schirm, Charme und Melone“ werden Regenschirme oftmals heldenhaften Weltrettern als gleichermaßen praktisches wie schmückendes Accessoire in die Hand gedrückt. Da allerdings auch jene Menschen gelegentlich das schlechte Wetter überrascht, denen man im Zweifelsfall lieber nicht in einer finsteren Seitenstraße begegnen möchte, fand sich schon so mancher Regenschirm plötzlich unfreiwillig auf der dunklen Seite wieder – und ein ganz besonders tückisches Exemplar hat es dank seiner „kriminellen Energie“ sogar zu dem zweifelhaften Ruhm eines eigenen Wikipedia-Eintrages gebracht.

Für das „Regenschirmattentat“ auf den bulgarischen Regimekritiker Georgi Markow stellt sich der Vermerk in der Online-Enzyklopädie allerdings gerade einmal als die Spitze des Eisberges heraus. Da die mutmaßlich von einem osteuropäischen Geheimdienst initiierte Ermordung des Dissidenten sämtliche Zutaten eines spannenden Spionagethrillers enthält, fassten in den vergangenen Jahrzehnten auch schon zahlreiche Kinofilme, Fernsehserien und Dokumentationen eines der vielleicht heißesten Eisen des Kalten Krieges an. Dennoch liegt bis zum heutigem Tage im Dunkeln, was genau am 7. September 1978 auf der Londoner Waterloo Bridge geschah, und vor allem: welche Rolle der Regenschirm bei diesem Verbrechen zugeteilt bekam.

Nur die Themse wurde Zeuge

Als gesichert darf immerhin angenommen werden, dass Markow zunächst mit einigen unliebsamen Schriften und bald darauf als nicht minder kritischer Mitarbeiter der BBC den Unmut des Ost-Blocks auf sich gezogen hatte: Um den Regimekritiker im englischen Exil möglichst unauffällig aus dem Verkehr zu ziehen, griff der bulgarische Geheimdienst auf die in solchen Fällen schon seit Jahrtausenden bewährte Methode des Giftmords zurück. Auf der Waterloo Bridge stieß der Journalist auf dem Weg zur Arbeit mit seinem Mörder zusammen, der dem arglosen Opfer möglicherweise mit einer auf der Spitze eines Regenschirms befestigten Kanüle das hochtoxische Pflanzengift Rizin in die rechte Wade injizierte.

Dass die konsultierten Ärzte die schwerwiegenden Folgen der zufällig wirkenden „Rempelei“ anfangs unterschätzten, bedeutete für Georgi Markow das Todesurteil. Waren die Überlebenschancen aufgrund der hohen Dosis des verabreichten Gifts ohnehin nur verschwindend gering, wurde die Diagnose erst zu einem Zeitpunkt präzisiert, als das Herz des 49-jährigen Schriftstellers bereits zu versagen begann. Die Obduktion beförderte schließlich eine winzige Kugel mit einer Platin-Legierung zutage, in der sich die tückische Substanz zunächst befunden haben muss: Während somit zumindest über die Art der Vergiftung zweifelsfreie Gewissheit besteht, ist das Attentat nichtsdestotrotz auch weiterhin für wilde Spekulationen gut.

Regenschirme als Tatwaffen

zweckentfremdete Regenschirme – Wikipedia über das Regenschirmattentat

 

Forschungen entlasten den Regenschirm

Zwar gab Markow bei seiner Einlieferung ins Krankenhaus selbst zu Protokoll, von einem Stockschirm verletzt worden zu sein; neuere Nachforschungen des Münchener Filmemachers Klaus Dexel legen mittlerweile jedoch die Vermutung nahe, dass es sich hierbei mit großer Wahrscheinlichkeit lediglich um ein Ablenkungsmanöver des Täters gehandelt hat. Der bei dem Zusammenstoß zu Boden gefallene Schirm lieferte demnach nur den Vorwand, in die Nähe der unbedeckten Wade des Journalisten zu kommen – als eigentliches Tatwerkzeug trat somit wohl vielmehr eine „handelsübliche“ Spritze in Erscheinung.

Aufgrund der einleuchtenden Schwierigkeiten, mit einem eher unhandlichen Regenschirm das Gift beiläufig in die gewünschte Stelle zu injizieren, dürfte der Schirm hier tatsächlich nur als Komplize tätig geworden sein: Dies wirkt im Nachhinein fast schon ein wenig ironisch, weil gerade die ungewöhnliche Tatwaffe für anhaltendes Aufsehen sorgte. Nachdem ein argloser Schirm einen Dissidenten im wahrsten Sinne des Wortes mundtot machte, war den kommunistischen Regimes jenseits des Eisernen Vorhangs schließlich auch jede weitere Schandtat zuzutrauen – ein „einfacher“ Mord mit einer klassischen Spritze hätte wohl kaum eine vergleichbare Karriere gemacht.

Regenschirm-Attentat findet Nachahmer

Der besonderen Faszination des Regenschirmattentats sind seither allerdings nicht nur Heerscharen von Geschichtswissenschaftlern und Kulturschaffenden erlegen. Wie ein ähnlich gelagerter Fall aus Hannover zeigt, konnte zudem ein Trittbrettfahrer nicht der Versuchung widerstehen, sich einmal wie ein Schurke in einem Agententhriller zu fühlen. Von einer auf einem Werbeschirm montierten Spritze bekam im Juli 2011 ein 40-jähriger Mann in der niedersächsischen Landeshauptstadt eine größere Menge Quecksilber in das Gesäß gespritzt; eine Überdosis, an der das offenbar zufällig ausgewählte Opfer nach einem knappen Jahr verstarb. Ebenso wie bei dem Original in London, verliefen auch hier die Fahndung nach dem Mörder sowie die Ermittlung der genaueren Umstände alsbald im Sand.